04. August 2021 · 10 Min Lesedauer
„Immer im Gespräch bleiben!“

Instagram, WhatsApp, TikTok – das ist die virtuelle Welt, in der sich Kinder und Jugendliche tagtäglich aufhalten. Gewollt oder nicht. Der Kinderschutzbund Bayern hat mit dem Projekt "Medienlöwen" ein Angebot an Schulen geschaffen, um dabei zu unterstützen, vorbereitet in diese Welt einzutauchen. Joana Leinberger hat mit Daniela Riedel über das Engagement des Kinderschutzbundes im Rahmen des Projekts "Medienlöwen" gesprochen.
Medienkompetenz im Fokus!
Joana Leinberger: Wie sind Sie auf die DATEV-Stiftung Zukunft aufmerksam geworden?
Daniela Riedel: Unser Vorstand des Kinderschutzbund Landesverband Bayern e.V. wurde durch einen Zeitungsartikel im Magazin „6+60“ im September 2019 auf die DATEV-Stiftung Zukunft aufmerksam und nahm daraufhin Kontakt mit Herrn Dr. Sebastian Sprenger auf.
Joana Leinberger: Beschreiben Sie doch Ihr Förderprojekt bitte einmal kurz. Was können wir uns darunter vorstellen?
Daniela Riedel: Das Projekt „Medienlöwen – Münchner Medientraining“ richtet sich an Schülerinnen und Schüler der 4. bis 7. Jahrgangsstufe. Zusammen mit zwei Medienlöwen-Trainier*innen reflektieren die Kinder und Jugendlichen in ihrem Klassenverbund in 90-minütigen Workshops ihr eigenes und familiäres Medienverhalten und setzen sich aktiv und alltagsbezogen mit aktuellen Fragen rund um die Mediennutzung auseinander, wie z.B.: Was sind Daten und warum sind eigentlich fast alle Angebote kostenlos? Was sollte ich beim Posten von Fotos und Videos beachten? Wie gehen wir als Klasse mit Cybermobbing um? Wie filtere ich aus der Nachrichtenflut Falschmeldungen heraus? Die Schüler*innen lernen Rechte und Pflichten für einen respektvollen und sicheren Umgang mit Medien im digitalen Zeitalter kennen. Der Spaß an den Medien soll dabei nicht verloren gehen. Die pädagogischen Fachkräfte der Schule werden immer in das Training mit einbezogen (Klassleitung und Schulsozialarbeit). Das Konzept beinhaltet auch die Option für einen Eltern-Schüler*innen-Abend. Im Idealfall profitiert also die ganze Schulgemeinschaft von dem Projekt.
„Bei Kindern bestehen die größten Lücken im Medienhandeln und in der Medienkritik.“
Trainieren und Erfahrungen sammeln!
Joana Leinberger: Welche Ziele verfolgen die „Medienlöwen“ mit Ihrer Arbeit?
Daniela Riedel: Immer früher sind Kinder und Jugendliche in der Medienwelt aktiv und untereinander über Smartphones, Tablets oder PCs vernetzt. Mit unserem Medienkompetenztraining möchten wir Kinder, Jugendliche und deren Familien auf dem Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Medien stärken und unterstützen. Sie erwerben die Fähigkeit, Medien bewusst, kritisch und den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu nutzen. Sie lernen, die Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Sie werden an einen respektvollen Umgang miteinander in den sozialen Netzwerken herangeführt. Sie erwerben Handlungskompetenzen, um auch mit schwierigen oder strafrechtlich relevanten Inhalten, wie z.B. Cybergrooming umzugehen. Zusammen mit der Prävention ist uns auch die Nachhaltigkeit des Projektes wichtig. Zum einen können die pädagogischen Fachkräfte, die beim Training in der Klasse dabei sind, mit den Schülerinnen und Schülern weiter am Thema arbeiten. Zum anderen können wir mit aufeinander aufbauenden Workshops Klassen über mehrere Jahre begleiten.
Joana Leinberger: Die Lehrpläne sind randvoll. Wenn Medienkompetenz eine derartige Schlüsselrolle in der Ausbildung unserer kommenden Generationen spielen soll: Wie könnte eine Lösung aus eurer Sicht aussehen?
Daniela Riedel: Zu Medienkompetenz gehört neben der Medienkunde und Mediennutzung auch Medienhandeln und Medienkritik. Nur weil die Kinder heute mit vielen modernen Medien aufwachsen und diese dank der intuitiven Benutzeroberfläche scheinbar mühelos bedienen können, sind sie noch lange nicht medienkompetent. Das reflektierte Nutzen und verantwortungsvolle Mitmachen in den Medien, sowie Medienkritik muss gelernt und geübt werden. Medienpädagogik muss altersangepasst kontinuierlich Kinder und Jugendliche durch den gesamten Bildungsweg begleiten, eingebunden in alle Schulfächer. Das bedeutet vor allem, dass Medienpädagogik ein fester Bestandteil in der Ausbildung von Lehrkräften werden muss und im Studium für alle Schularten verpflichtend verankert wird. Das ist bisher nicht der Fall. Mit fatalen Folgen, die viele Kinder im Homeschooling jetzt erdulden mussten. Die technische Ausstattung der Klassenzimmer mit Smartboards und der Schülerinnen und Schüler mit Tablets ist ohne medienpädagogische Sicherheit der Lehrkräfte nur schöne Fassade.
Daniela Riedel verantwortet seit 2017 das Projekt „Starke Eltern – Starke Kinder ®“ beim Kinderschutzbund Bayern
Joana Leinberger: Wo besteht aus Ihrer Sicht die größte Bildungslücke in Sachen Medienkompetenz? Bei Schülern selbst oder eher bei Eltern und/oder den Lehrern?
Daniela Riedel: Bei Kindern bestehen die größten Lücken im Medienhandeln und in der Medienkritik. Dazu zwei Beispiele: Kinder erkunden die Welt grundsätzlich neugierig und mit großem Forscherdrang. Auch im Internet handeln sie naiv und unbekümmert. Dass nicht alles, was kostenlos und im Netz frei verfügbar ist, wirklich umsonst ist und von jedem/jeder verwendet werden darf, ist sie für sie schwer zu verstehen. Der Wert von und Umgang mit persönlichen Daten und die Verletzung von Urheber- und Persönlichkeitsrechten ist ein großes Thema (z.B. Bildrechte). Hier brauchen Kinder zum einen das Wissen um Regeln und Grenzen als auch die kontinuierliche Begleitung von Erwachsenen. Das andere ist, dass Kinder und Jugendliche Meinung und Fakten schwer trennen können. Das heißt, sie gehen mit Inhalten wenig kritisch um. Sie glauben ihren Influencern ungefiltert, sie recherchieren nicht zu Inhalten von YouTube Videos oder TikToks, sie lassen sich von Kettenbriefen (z.B. Momo) erschrecken. Wenn das so im Netz oder der WhatsApp-Nachricht steht oder im Videoclip gezeigt wird, dann muss das zwangsläufig wahr sein. Medienkritik setzt Lesekompetenz voraus. Laut Pisa Studie schneiden deutsche Schülerinnen und Schüler schlecht darin ab. Hier sind also vor allem unsere Bildungsträger gefragt, die Kinder und Jugendlichen zu stärken. Bei Eltern von Bildungslücken zu sprechen, finde ich schwierig. Hier ist es eher der Perspektivenwechsel, der fehlt von ihrer eigenen, zielgerichteten Mediennutzung hin zum arglosen Ausprobieren und „Spielen“ mit Apps bei Kindern. Immer im Gespräch mit dem Kind zu bleiben, sich für Trends zu interessieren, Spiele mitzuspielen, einfach zu versuchen die Medienwelt mit Kinderaugen zu sehen und die Faszination zu spüren, hilft drohende Gefahren zu erkennen und die Kinder durch Vereinbarungen oder auch entsprechende Einstellungen am Gerät zu schützen. Dazu gehört auch die klare Haltung, dass Mindestaltersangaben bei Apps aus Gründen des Datenschutzes oder zum Jugendmedienschutz ihre Berechtigung haben und Socialmedia-Apps nicht auf Kinderhandys gehören. Dass Medienpädagogik noch kein fester Bestandteil in der Ausbildung ist, macht es Lehrkräften umso schwieriger, mit den Themen umzugehen, die von den Eltern oder Kindern in die Schule hineingetragen werden. Bestes Beispiel hierfür ist der Klassenchat. Auch wenn dieser eigentlich im außerschulischen Kontext, also in der Freizeit, stattfindet, betrifft er doch das Schulleben. Umgang mit Streit, Cybermobbing oder strafrechtlich relevanten Inhalten (z .B. pornografische Bilder), fordern die Lehrkräfte heraus. Hier fehlt es oft an Handlungskompetenzen und auch an Konzepten in der Schulgemeinschaft.
Joana Leinberger: Schulen befinden sich gerade bundesweit in einem Dauerzustand der Ungewissheit. Wie hat die Corona Krise Ihre Arbeit bei den „Medienlöwen“ verändert? Was sind Ihre weiteren Pläne?
Daniela Riedel: Die Coronakrise und die damit verbundenen Infektionsschutzauflagen haben das Medienlöwentraining im zweiten Halbjahr des letzten Schuljahres völlig zum Erliegen gebracht. Die Schulen mussten sich erst in neue Konzepte, wie Distanzunterricht oder Wechselunterricht einfinden, z.T. war der Besuch von externen Fachkräften im Unterricht gar nicht erlaubt. Als sich im Herbst abgezeichnet hat, dass uns diese Ungewissheit noch weiter begleiten wird, haben wir gemeinsam mit unseren Trainer*innen an einer Weiterentwicklung des Konzeptes gearbeitet, mit der Idee, das Medienlöwentraining online anbieten zu können. Die technische Umsetzung in den Grundschulen ist allerdings eine große Hürde, auch weiterführende Schulen wünschen sich eher einen Präsenztermin. Nach dem erzwungenen Stopp des letzten Schuljahres stehen wir jetzt mit einem Online-Angebot unserer Workshops in den Startlöchern und hoffen diese auch bald mit Klassen durchführen zu können. Aus gegebenem gesellschaftlichem Anlass haben wir einen neuen Workshop zum Thema „Fakenews und Verschwörungstheorien“ im Angebot. Natürlich bieten wir auch flexible Trainings in Präsenz an, z.B. für die Kinder, die in der Notbetreuung sind. In den letzten Monaten war es wichtig, unseren langjährigen Projektschulen, durch Email- und Telefonkontakt zu signalisieren, dass wir sie in dieser Krise nicht allein lassen und flexibel und nach den Bedürfnissen begleiten und unterstützen können, sei es mit Material, Tipps oder Elternabenden. Wir freuen uns, dass für den Sommer wieder mit der Planung von Präsenzworkshops begonnen werden kann.
Mehr zum Projekt
Weitere Informationen zur Kooperation mit dem Kinderschutzbund gibt es hier.
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Unsere Autor:innen
Joana Leinberger
Joana Leinberger ist Mitarbeiter im #TeamDATEVStiftungZukunft.
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